Thomas W. Kuhn

Licht im Bild

Um mit den Augen etwas erkennen zu können, bedarf es des Lichts - natürliches oder künstliches Licht, das die Dinge erhellt, bevor in den Augen und im Gehirn ihr Bild entsteht. Sieht man von den Lichtquellen selber ab, bescheint es die Dinge, die uns so vor den Augen als beleuchtet erscheinen. Die Praktiker der gegenständliche Malerei haben über Jahrhunderte hinweg verschiedene Wege gefunden, nicht nur die Dinge, sondern auch ihr Erhelltwerden, abzubilden. Das jeweilige Licht in der Realität, wie auch in den Bildern, vermittelt ein ganzes Bündel an Eigenschaften: die Farbigkeit eines Gegenstands, seine Oberflächenbeschaffenheit, begleitet von stumpfen oder glänzenden Reflektionen, bis hin zu seiner Körperlichkeit, seiner Plastizität. Darüber hinaus schafft das Licht unabhängig von den Objekten Atmosphäre, trägt zur ruhigen oder dramatischen Stimmung einer Situation bei, lässt die Dinge in einem kalten oder warmen Ton erscheinen. Die physische und psychische Wirkung des Lichts tritt dabei vereinigt und untrennbar in Erscheinung, allerdings zumeist mittelbar über das Beleuchtete. Es sind religiöse und spirituelle Themen, in denen das Licht, spätestens seit der Vorgeschichte, für sich Thema wird, von Stonehenge zum altägyptischen Sonnengott Ra, über den griechischen Gott Apoll, bis hin zum "überlichten" himmlischen Licht in der christlichen Ikonenmalerei.

Nach dem Bruch zwischen der byzantinisch beherrschten Kunst des christlichen Ostens und derjenigen des Westens, führte im Okzident vor allem die Architektur den spirituellen Einsatz des Lichts weiter, sei dies in der von Suger de Saint-Denis inspirierten gotischen Architektur eines himmlischen Jerusalems oder im dramatischen Barock Gian Lorenzo Berninis, der über die Lichtregie im Kirchenbau Heilsgeschichte vergegenwärtigte.

Die Malerei hingegen strebte seit Cavallini und Giotto in der Zeit um 1300 zunehmend einem im Diesseits angesiedelten Realismus entgegen, in dem die Funktion und Erscheinung des Lichts zunehmend objektiviert wurde, von gelegentlich wundersamen, aber illustrativ angelegten Lichterscheinungen abgesehen. Erst bei William Turner und den Impressionisten vom Schlage Claude Monets gewann das Licht in der Malerei wieder eine besondere, wenn auch profane, Eigenwertigkeit. Licht und mit ihm die Farbe lösten sich sukzessive vom Gegenstand ab, bis hin zur ungegenständlichen und um Transzendenz bemühten Kunst Kandinskys. Eine nicht unerhebliche Rolle spielte hier bekanntermaßen die oberbayerische, von Licht durchdrungene Glasmalerei in der dortigen Volkskunst. Wo aber Kandinsky seine ungegenständlichen Kompositionen rasch unter dem Einfluss des Konstruktivismus geometrisch verfestigte und das Licht, als aus den Dingen herausdringende Kraft, ausschied, brachen nach dem 2. Weltkrieg Mark Rothko und Rupprecht Geiger, neben anderen diese geometrische Verfestigung wieder auf und ließen darüber hinaus das Licht, durch die Farbe zu neuer autonomer Kraft gelangt, wieder leuchten: kein anderer Gegenstand, als die Malerei selbst, an den sich das Licht bindet. Insbesondere bei Rothko fällt es zudem schwer, eine spirituelle Dimension dieses Lichts zu leugnen, die wenige Jahre später auch bei Yves Klein und den Künstlern der Gruppe ZERO relevant werden wird.

Bei Irina und Marina Fabrizius war das Licht in ihren Bildern ebenfalls längere Zeit an die Gegenstände gebunden. Von dieser Bindung haben sie sich schrittweise gelöst. Über eine Folge von Bildern hinweg lässt sich diese allmähliche und zugleich unaufhaltsame Lösung verfolgen. Landschaftsmotive leiten bei ihnen den Weg zum Licht ein. Es folgt vom Licht durchleuchtete Materie: Eis, Wasser und Glas. Hier droht für den Betrachter aber noch immer die Gefahr, darin nur das Bemühen um einen virtuosen Fotorealismus zu vermuten und den Blick für das eigentliche Interesse der Malerinnen zu verlieren. Erst in den horizontalen Farbverläufen und den zentrierten Farbräumen, wird die Bedeutung des Lichts in den Bildern von Irina und Marina Fabrizius unübersehbar. Ihre Bilder scheinen das Licht nicht nur zu reflektieren: es pulsiert aktiv durch ihre Malerei hindurch. Schmalste Farbzonen am unteren Rand strahlen aus und leuchten über das ganze Bild hinweg. Dabei erinnern vor allem die waagerechten Farbübergänge entfernt an Landschaften, beschwören die Tradition der endlosen Himmel Jan van Goyens, genauso wie den Luftraum über den baumlosen Steppen Kasachstans, dem Land ihrer Kindheit.

Mehrere in Öl gemalte Farbschichten, die von beiden über Wochen hinweg aufgetragen werden, ermöglichen diese erstaunliche Wirkung, die auch an die Lichtinstallationen James Turrells erinnert. Jede der Farbschichten lässt einen Teil des Auflichts durch und reflektiert den anderen, so das jede Schicht eine neue Nuance zum Eindruck im Auge beiträgt. So überrascht kaum, dass im Laufe der Zeit nur wenige Bilder als Resultat dieses aufwändigen Prozesses entstehen. Mit dem in diesen ungegenständlichen Bildern entdeckten Möglichkeiten der Darstellung von Licht, oder genauer: der malerischen Aktivierung des Lichts - wenden sich Irina und Marina Fabrizius auch wieder den gegenständlichen Dingen zu und untersuchen die Materialität von Innen- und Außenräumen hinsichtlich ihrer Leuchtkraft. Durch die ungegenständlichen "Leuchtbilder" geschult, kann nun der Betrachter auch in diesen Bildern mehr entdecken, als den sprachlich oft allzu leicht zu benennenden Gegenstand, dessen Benennen allein, im Licht der Malerei, noch kein ausreichendes Erkennen garantiert.